In 24 Stunden nach Bijeljina

Fernbeziehung nach Bosnien-Herzegowina

Am Morgen geht die Reise los, mit dem Zug nach Aschaffenburg und weiter nach Frankfurt. Dort findet sich nahe am Busbahnhof ein Fahrkarten-Büdchen. Nach Bijeljina, Bosnien-Herzegowina und zurück – neunzig Euro.

Ich bin die einzige die kein Bosnisch spricht

Am Bussteig angekommen muss ich schmunzeln, denn bereits jetzt fühlt es sich wie in Bosnien an: zwei „Marka“ pro Gepäckstück, kurze bosnische Ansagen und das folgende Erstaunen über meine Ahnungslosigkeit. Ich bin die einzige die kein Bosnisch spricht. Der Fahrer reagiert mürrisch, die anderen Fahrgäste interessiert. Doch erst einmal einen Sitzplatz sichern, wenn möglich zwei – dann wird die Nacht leichter. Und schon sind wir auf dem Weg.

Ich denke an meine erste alleinige Bosnien-Reisen vor ca. zwei Jahren zurück. Wie aufgeregt ich damals war! Ich wusste, dass Busse auf der Strecke umverteilt werden können oder sich Routen ändern. Die Lautsprecheransagen hierzu waren nur für Muttersprachler verständlich. Doch damals kannte ich die Gastfreundschaft der Menschen noch nicht genug.

An der ersten Grenze zu Österreich wird nur stichprobenartig kontrolliert. Jetzt, wo wir alle Stationen in Deutschland hinter uns gelassen haben, kommen wir endlich schneller voran. Im Radio des Fahrers läuft Balkanmusik – was für ein Klischee.

Ich versinke wieder in Gedanken. Landesgrenzen sind schon merkwürdig. Drei Meter davor darf sich jeder aufhalten, doch hindurch können nicht alle. Es ist Zufall, dass ich ausgerechnet in Deutschland und Damir in Jugoslawien geboren wurden. Und momentan ist es unsere Freiheit über tausend Kilometer mit dem Bus zu reisen, um uns zu sehen. Wir könnten auch fliegen, doch terranes Reisen ist uns lieber.

ES IST UNSERE FREIHEIT ÜBER TAUSEND KILOMETER MIT DEM BUS ZU REISEN, UM UNS ZU SEHEN.

Das Tropfen der Klimaanlage bringt mich wieder in die Realität zurück

Die Menschen werden geschäftig. Sie suchen ihre Wertsachen zusammen. Einige holen ihren Pass heraus. Wir sind an der slowenischen Grenze.

Alle steigen aus und reihen sich vor einem Container mit einer Glasscheibe auf. Der Zollbeamte kontrolliert jeden. Manchmal werden Fragen gestellt – dann dauert es länger bevor der Pass einen neuen Stempel erhält. Ich sehe, dass ich mit drei anderen einen Personalausweis vorlege. Wir kommen schneller durch. Die anderen sehen es auch.

Beim Warten werde ich dann angesprochen. Fast jeder kann hier deutsch. Sie fragen mich, ob ich Verwandte besuche und ob ich fest in Deutschland lebe. Ihr Erstaunen darüber, dass ich keine jugoslawischen Vorfahren habe, ist groß. Die Meisten der Fahrgäste sind Berufspendler oder besuchen einen Teil der Familie. Die mit der deutschen Staatsbürgerschaft sind oft seit dem Jugoslawienkrieg in Deutschland.

Sie erzählen mir von Bosnien und was ich dort machen soll. Sie fragen mich über unsere Beziehung. Wir stehen zusammen, viele rauchen und wir lachen. Als der Bus weiterfährt, brechen die Unterhaltungen nicht ab und ich bekomme allerlei Mitgebrachtes zum Essen und Trinken angeboten. Die restliche Reise übersetzen mir die Menschen die Durchsagen der Fahrer. Ich fühle mich aufgenommen und ruhiger. Als es dunkel wird, schlafe ich ein.

An der kroatischen und bosnischen Grenze wiederholen sich die Schlangen, das Stempeln, Warten und Reden. Es ist dunkel und kalt. Immer wieder hält der Bus auch an Raststätten an. Das Bordklo ist außer Betrieb. Wenn jemand zu laut schnarcht, lachen die anderen. Bei den Pausen sind Kaffee, Cola und Zigaretten sehr beliebt.

Als es schließlich dämmert, wird eine völlig veränderte Landschaft sichtbar. Verwilderte Landstriche mit Büschen und Bäumen. Ich muss an die Landmienen aus dem Jugoslawienkrieg denken. Vereinzelt angepflanzte Felder, kleinere Hausgruppierungen, Bauruinen oder alte verlassene Häuser. Das Rot der unverputzten Backsteinwände im starken Kontrast zu einer neu verputzen Fassade mit Glitzer-Pigmenten. Und in den Dörfern und Städten die zahlreichen Verkaufsbuden und Straßenstände.

An der Bushaltestelle „Lončari“ ist meine Reise mit dem großen Bus beendet. Einige steigen mit mir aus und andere verabschieden sich. Wir warten in einem Kaffee, das mich an einen Freizeitpark erinnert. Hunde und Katzen schlafen in der Sonne. Nach einer Stunde kommt ein kleiner Bus mit Hänger. Der Fahrer fährt schnell und überholt. Ältere Frauen beschimpfen ihn. Die Häuseransammlungen werden dichter. Große Kaufhäuser sind zu sehen. Und schließlich komme ich in Bijeljina am Bahnhof an. Das größte Abenteuer bereits hinter mir. Ich laufe durch die Gitterabsperrung und dann endlich warten dort schwer vermisste und vertraute Arme auf mich. Ich bin Zuhause.